Ein Ferienhaus am Ijsselmeer, eine große Chaosfamilie und ein 60ster Geburtstag. Genau so könnte tatsächlich ein alter Loriot-Film anfangen, aber es sind wir, wie wir eben so sind. Zehn Erwachsene, Mads und die kleine Lilly sind am Start und verwandeln unser kleines Ferienhäuschen binnen Minuten in eine Chaosbude. Ich liebe es, wenn die ganze Familie zusammen ist. Alle wuseln durcheinander, Lilly tanzt zu lauter Kindermusik und Mads spitzt mit lautem Schnarren erstmal alle vorhandenen Stifte an. Er hat beim ersten Familieneinkauf unseres Urlaubs in einem niederlädischen Lidl stolz einen elektrischen Anspritzer erstanden („Mit dem habe ich Spaß und er ist auch sinnvoll für die Schule, Mama!“) und nutzt ihn nun ausgiebig. Wie gut, dass wir jeden Abend eine neue Runde Activity mit der ganzen Bande spielen und immer gut gespitzte Stifte zum zeichnen benötigen. By the way: Mit der ganzen Bande? Nein, denn ein keiner Teil von uns wiedersetzt sich dem lustigen Spielespektakel vehement, haha.
Am ersten Tag ist das Wetter leider nicht auf unserer Seite. Über überspülte Straßen fahren wir im Konvoi von Rijs nach Amsterdam, erkunden die Stadt ein wenig im Nieselregen und machen eine Wein-und-Käse-Grachtenfahrt. Wir sind zusammen immer ein lustiger Haufen und lassen uns die Stimmung vom Wetter nicht verderben. Mein Waliser Onkel Bobby erkundet mit hochgradig wissenschaftlichem Interesse Läden wie „The Secret of Sexiness“ in der Innenstadt und ich bekomme von unserer Waliser Familie die Nachricht, dass ich bloß aufpassen soll, dass er nicht aus Versehen etwas Falsches raucht. Meine Tante Ingrid bekommt über die Tage verteilt kleine Aufgaben und einige davon direkt an unserem Tag in Amsterdam. „Du bist das Schärfste zwischen Hohenrode und Heßlingen!“, sagt sie und fasst dabei lachend meinem Onkel ans Knie. Eigentlich ist es sein Haus-und-Hof-Zitat (na, aus welchem Film?), das er gern und oft anwendet und damit schon bei Menschen, die ihn nicht kennen, für die ein oder andere Verwirrung gesorgt hat. In diesem Fall ist es aber eine von Ingrids Aufgaben und der irritierte Blick meines Onkels ist Gold wert.
Zurück zu unserem Haus fahren wir über den Damm zwischen Ijsselmeer und Nordsee; einfach, weil ich diese Strecke so schön finde, und endlich kommt die Sonne heraus! Diese steht uns auch am zweiten Tag noch zur Seite, als wir einen Spaziergang durch den Rysterbos machen, ein nationales Waldgebiet, das an unseren Ort angrenzt. Wir wandern mit der Familie durch Alleen mit riesigen Bäumen, Mads entdeckt einen kleinen Spielplatz, auf dem auch die Männer ihren Spaß haben, und am Ende erreichen wir einen kleinen Strand am Mirnser Klif mit dem Strandpavillon „Paviljoen t’Mar“. Die Männer kehren ein, wir Frauen gehen mit den Kindern an den Strand (warum auch immer in dieser Aufteilung…). Ingrid hat wieder eine Aufgabe bekommen und soll eine hübsche Sandburg mit den Kindern bauen, die am Ende eine strenge Bauabnahme bestehen muss.
Lilly ist zum ersten Mal am Meer und springt quiekend mit Mads durch das flache Wasser, während wir Frauen von Chris mit Cocktails aus dem Pavillon versorgt werden. So kann man einen Tag gut verdrameln: In der Sonne liegen, ein kühles Getränke und dabei den Kindern zusehen, die sich noch so unheimlich gut für die kleinen Dinge begeistern können, die wir schon gar nicht mehr so wahrnehmen. Auf dem Rückweg durch den Rysterbos gibt es eine Premiere: Meine Tante Ingrid bekommt das erste Wegbier ihres Lebens in die Hand gedrückt. Wenige Stunden vor ihrem 60sten Geburtstag. Mein Onkel Bobby jammert, da er sich beim Wettlauf mit Mads auf dem Hinweg den Fuß verknackst hat und nur schleppend hinter uns anderen hinterherkommt. Jens und Chris singen Fußballhymnen und schwenken dabei fröhlich ihr Wegbier. Man könnte meinen, es wäre Himmelfahrt im Weserbergland, aber nein, wir sind immer noch in den Niederlanden.
Am Abend stoßen mein Papa und mein Bruder Malte zur illustren Runde dazu. Malte hat eine geistige Behinderung, ist aber auf seine Weise sehr pfiffig und wie wir alle ein absoluter Familienmensch. Sofort ist er laut und gesprächig mitten drin. Mein Cousin Gavin und seine Freundin Theresa haben während unserer Zeit am Strand leckere Bolognese für die ganze Bande gekocht und alle stürzen sich ausgehungert darauf. Mads müssen wir reinrufen, denn er dreht von früh bis spät Runden mit Theresas eRoller auf dem Hof. Bis spät in die Nacht wird gelacht, getrunken und natürlich Activity gespielt. „Gleich hat Ingrid Geburtstag! Noch 15 Minuten!“, sage ich zu Mads, der schon sehr müde ist. Malte guckt auf seine Uhr und sagt: „Ohhhh, so spät! Gute Nacht!“ und zack ist er verschwunden. Wir müssen irritiert lachen und Gavin sagt trocken: „Also ich wollte dann auch um 23:59 Uhr ins Bett gehen!“. Um 24 Uhr sind wir natürlich nicht ins Bett gegangen und feiern den runden Geburtstag so richtig. Es läuft Musik aus dem Dirty Dancing Soundtrack, Theresa holt er Vollständigkeit halber noch eine Wassermelone und wir tanzen ausgelassen. Plötzlich steht sogar Malte in einem getreiften Schlafanzug wieder mitten im Raum zum Gratulieren. Das konnte er sich dann wohl doch nicht entgehen lassen.
Den eigentlichen Geburtstag verleben wir in der kleinen Stadt Lemmer, in der wir shoppen, schlendern und nochmal ein wenig Zeit am Strand verbringen. Auch hier gibt es kleine Grachten, in denen private Boote auf und ab fahren. Abends gibt es leckeres Essen im Restaurant mit der besten Tripadvisor-Bewertung der Stadt: in der Pizzeria Lenna. Zunächst wollen dir draußen sitzen und die gesamte Terrasse wird für unsere große Gruppe umgebaut. Tische werden mühsam zu einer langen Tafel zusammengestellt, aber als alle endlich sitzen, fängt es augenblicklich an zu regnen. Wir entschuldigen uns vielmals dafür, dass wir solche Umstände gemacht haben und nun doch lieber drinnen sein möchten. Wieder einmal bricht Aktionismus aus, denn so viel Platz ist in der kleinen Pizzeria eigentlich nicht. Aber am Ende sitzen wir in einer kleinen Nische unter dem Dach eng zusammengerückt und futtern Pizza. Ingrid sieht zufrieden aus mit ihrem runden Geburtstag. Alle sind zusammen und lassen die letzten Tage Revue passieren. Besser geht es doch gar nicht!
Als dann doch leider einen Tag später die große Abreise ansteht, wollen Jens, Mads und ich noch nicht nach Hause. Ein Teil unserer Familie ist schon auf dem Weg zurück ins Weserbergland, ein anderer Teil fährt weiter nach Belgien. Ich möchte gern an die Nordsee und noch einen Tag am Strand verbringen. Meine Jungs sind sofort dabei. Im letzten Jahr war ich an der Nordsee campen mit unserer Tochter Mia, die gerade mit einer Jugendgruppe in Spanien ist. Ich suche einen netten Strandpavillon heraus, den Paviljoen Paal6 in Julianadorp, in dem wir damals gefrühstückt haben, und ab geht’s! Wir essen dort nachmittags ein paar leckere Kleinigkeiten und gehen kilometerweit am Strand entlang. Mads tobt sich richtig aus, guckt mal hier, buddelt mal dort und springt zwischendurch ins Meer. Es ist fast so, als hätten wir ein kleines Hündchen dabei. Wir wollen nur leider gegen Abend immer noch nicht nach Hause. Die nächsten Tage sollen mit 25 Grad und Sonne glänzen. Kurzum kommt Jens die Idee, mal bei den kleinen Strandhäuschen in Den Haag anzurufen, in denen wir im letzten Jahr in den Osterferien waren. Und tatsächlich: bei den „Haagse Strandhuisjes“ gibt eine Buchungslücke von zwei Nächten zum Sonderpreis. Also sitzen wir abends wieder im Bulli, fahren nach Den Haag und beziehen unser kleines Beach House. Ganz spontan. Ich liebe es!
Wir haben zwei Tage wunderbares Wetter. Tagsüber trinken wir Kaffee auf der Veranda und liegen in der Sonne, tauchen zu dritt durch die Wellen und buddeln tiefe Löcher im Sand. Momente, um komplett herunterzukommen. „Mama, ich hab ein neues Spiel!“, ruft Mads und ich frage: „Auf dem Handy?“. „Nein, ich spiele es dahinten, wo der Sand so abschüssig ist. Komm mit, ich erkläre es dir.“ Wer hätte gedacht, dass sich Kinder heutzutage noch stundenlang allein beschäftigen können? Strand und Meer sind einfach der beste Spielplatz. Oft sieht man uns nur zu zweit an unserem Häuschen sitzen und ich stelle mir vor, wie die Nachbarn hinterher sagen: „Ein Kind? Nein, die waren nur zu zwei hier!“ Abends kochen wir aus allen Resten, die wir von unserem Chaostrip noch im Gepäck haben, ein kleines Menü (ein Hoch auf Ingrid und ihre Zucchinis aus dem eigenen Garten). Salz erfrage ich mir bei den netten Nachbarn, die im Gegenzug den Zucker aus unserer Kaffeebox gut gebrauchen können. Wenn man in einem Strandhäuschen wohnt, dann schmeckt einfach alles, denken wir und stoßen im Sonnenuntergang mit Blick aufs Meer an.


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